Der Geheime Garten
Unter dem Monde und Sternenlicht,
Ganz vom Rausche der Nacht umfangen,
Zugleich verklärt und scharf die Sicht,
Wandeln wir, niemals untergegangen,
Durch die Straßen unserer alten Stadt,
Die uns beiden eine Heimat gegeben hat,
Die wir dennoch suchen.
Denn da wir uns selbst und die Welt oft verfluchen,
Scheint uns verlorengegangen, was wir so nennen,
Obgleich ein jeder, der meint uns zu kennen,
Sie in uns sieht.
Wenn auch alter Freundschaft Elixiere
Uns’re müden Glieder wärmen,
Wenn ich bei dir auch niemals friere,
Während durch die Nacht wir schwärmen,
Fühlen wir uns beide doch verloren,
Scheinen aus grauer Masse auserkoren,
Den Weg der Einsamkeit zu geh’n.
Ewig suchend auf finsterem Pfade
Folgen wir nur jenem seltenen Schimmer,
Der hie und da, doch niemals immer,
Ob durch Willkür oder göttliche Gnade,
aufblitzt.
Dessen goldenen Glanz verlorener Geister
Versuchen wir in uns aufzunehmen,
Sind’s auch uns nur schattenhafte Schemen,
Die wir aus längst vergessenen Welten erahnen.
Doch wir brauchen sie und können sie nicht lassen,
Wollen sie mit aller Macht erfassen,
Denn holen wir sie bloß zurück.
Ja, diese goldenen Funken stammen,
Wie auch unsere alten Seelen,
Aus dem Urgrund jener hohen Welten,
Die den meisten Geistern fehlen.
Mit diesem heißen Licht im Herzen
Brennen wir, den Sternen gleich,
In unerreichter Erdenferne
Wie unerlosch’ne Himmelskerzen.
Und doch verbrennt uns dieses Feuer
Und zieht den Sinn in kühle Schatten,
Lässt uns oft und ganz ermatten,
macht den Sinn uns ungeheuer.
Doch ist uns dies doch als Los gegeben,
Wie die Hellsten am Himmel im Feuer zu leben,
Wenn es uns auch von innen verbrennt
Und unseren Schmerz nur der Unsterbliche kennt,
So wähl’n wir doch lieber das Leid und das Licht,
Als einen Himmel ohne Sterne,
Ein Land ohne Ferne
Und eine Welt, die zerbricht.
So streifen wir durch die staubigen Straßen,
Folgen dem Pfade, den du uns weist,
Gehen durch jene vertrauten Gassen,
Folgend dem Ruf, den du uns verheißt.
Und schließlich kommen wir zu jenen Mauern,
Die so ungesehen in den Straßen lauern,
Deren Schlüssel nur du den deinen nennst,
Deren magisches Inn’re auch du nur kennst.
Doch mir willst du es nun zeigen
Und so betreten wir, in vorsicht’gem Schweigen
Den geheimen Garten.
Ewig schien er auf uns zu warten,
Auf uns, die sein wahres Selbst erkennen,
Die seinen wahren Namen nennen
Und in sich finden.
Gar schön ist der Garten anzuseh’n;
Er wächst in wilder Harmonie,
trägt in sich die Melancholie
All derer, die dort in ihm geh’n.
Dort wandeln Wesen fremder Welten,
Gehen Geister fremder Zeiten,
Man spürt sie durch die Nebel gleiten,
Immersanfte Lieder singen,
Die ruhevoll im Dunkeln klingen
Und uns durch die Nacht geleiten.
Da, inmitten all der Bäume,
All der altbepflanzten Räume
Zwischen göttlichen Skulpturen,
Die alte Meister dort beschworen,
Reicht ein Turm zum Sternenzelt,
Ganze Welten überragend,
Aller Leiden Lasten tragend,
Der zu keiner Zeit zerfällt.
Jene heiligen Mauern aus goldgelbem Stein,
Im Mondenlicht glänzend wie Elfenbein,
Locken uns zu sich mit tiefen Akkorden,
Sich niederzusetzen laden uns ein.
So wandeln wir neben den Geistgestalten,
Die den Urgrund der Welt in ihren Liedern tragen
Und alles in ihren Liedern erfragen,
Alles des ewig Zukünftigen
Und alles des je schon Gewesenen,
Selbst jedes Lachen und Klagen.
Wie wir dann schließlich die Stufen ersteigen,
Tanzen die Sterne uns ihren Reigen,
Während sie uns ihre Kerzen entzünden
Und ihr traurig schönes Leuchten verkünden.
Wir beide, wir setzen uns dort nun hernieder
Im Garten, der uns aus Träumen gewoben,
Erzählen uns stetig und immer wieder
Große Geschichten, deren Geister wir loben,
Da sie in uns sind
Und wie ein warmer Sommerwind
Fliehen sie in die Lüfte,
Umwehen uns inmitten der Düfte
Auf jener Treppe unter dem Turme.
Dort verweilen wir in stiller Gemeinsamkeit,
In uns’rer gemeinsamen Einsamkeit,
Bis die Zeit uns heißt zu geh’n.
Doch als wir wieder an den Mauern des Gartens steh’n,
Wage ich, zu jenem träumenden Treiben,
Zum Turm im Garten zurückzuseh’n,
Könnten wir doch nur für immer bleiben…
